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Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal

Dies ist die Website und das Blog zum Buch "Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" von Holm Friebe und Sascha Lobo. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommt. Das Blog schreibt das Buch fort, gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln und informiert über neueste Entwicklungen und Frontverläufe im Kampf um den Individualismus 2.0.

12.10.2006 | 14:17 | Sascha Lobo | - Das Prinzip Bohème | - Das soziale Netz | - Kommunizierende Röhren

Elektrischer Reporter zur digitalen Bohème

Wie Fernsehreportagen der Zukunft von heute aussehen, kann man beim Elektrischen Reporter besichtigen. Mario Sixtus produziert jede Woche eine schmucke, zehnminütige Reportage, die sich (bis jetzt jedenfalls) mit Themen aus der digitalen Welt beschäftigt. Diese Woche ist ein Interview mit Holm und mir zu sehen, in dem wir zu erklären versuchen, was und wie bei der digitalen Bohème abgeht. Auf eine Art gelingt es uns auch. Ausserdem ist Marios Anmoderation sehr treffend und ich finde, meine Frisur reisst es an den langsameren Stellen wieder voll raus, während meine spärlichen Gags versanden wie das Nildelta. Holm setzt mit einer mutig ineinander verschränkten Hypotaxenlawine einen schönen, dichten Textblock dagegen, in den nichtmal eine Diamantnadel eindringen könnte.

Aufgenommen haben wir das Interview übrigens im bespringbrunnten Hof eines Kölner Altenheims in Bahnhofsnähe, einer Tiefburg der digitalen Bohème. Die Gipsfigur "Mozart wird von den sieben Musen umtanzt" ist im Hintergrund leider nicht zu sehen.


11.10.2006 | 21:38 | Sascha Lobo | - Bohème und Big Business | - Kommunizierende Röhren

Wichtigkeiten, Nichtigkeiten

Eigentlich bin ich gerade damit beschäftigt, eine Voodoo-Puppe von Amazon mit Nadeln zu malträtieren, weil dort trotz andersgelagerter Realität "Wir nennen es Arbeit" noch immer mit sieben Tagen Lieferfrist angegeben wird. Aber angenommen, jemand würde sich erst seit heute für Blogs interessieren (ja, das gibt es!) und dann irgendeine beliebigen Zeit- oder Focus-Liste für amtlich anerkannte Blogs abbrowsern – diese Person wäre sehr verwirrt. Es läuft soeben blogübergreifend eine Metadiskussion, die auf dem besten Weg ist, zur Metametadiskussion zu werden. Websoziologisch hochinteressant, inhaltlich wesentlich weniger.

Treten wir einen Schritt nach oben über die Baumgrenze, um den Wald von oben zu betrachten. Fraglos sind Weblogs die gesellschaftlich relevanteste Erscheinung im Internet der letzten Jahre. Vielleicht noch Online-Rollenspiele, aber eigentlich Blogs. Das, verbunden mit der Tatsache, dass schon mittelgrosse Blogs sich zu irgendeinem Quatsch äussern und vier Stunden später unter den Top 10 Suchergebnissen bei Google stehen, macht sie für die Industrie, oder genauer: für die Kommunikationsindustrie interessant. Deshalb hat eine grosse PR-Agentur, Edelman, mit internationalem Netzwerk ein Blogprojekt aufgesetzt und zwar im Verbund mit Technorati, einer Art Google nur für Blogs. Ziel des Blogprojekts war, die Relevanz von Blogs für die zukünftige Arbeit von Edelman herauszufinden und zwar in Form eines Rankings der wichtigsten deutschen Blogs. Da darf man sich nicht täuschen, Edelman interessieren ausschliesslich wirtschaftliche Relevanzen, alles andere wäre dumm und würde Arbeitsplätze kosten, das ist ein PR-Konzern, die ziehen nicht zum Spass jeden Tag dunkle Dreiteiler und beige Kostümchen an.

Besonders lustige Effekte ergeben sich nebenbei darin, dass das mit irrwitzig weitem Abstand wichtigste und grösste und etc. Blog Deutschlands das Bildblog ist. Trotzdem würden weder Edelman noch irgendein anderes PR-Network je mit Bildblog irgendein Projekt eintüten, denn es sich im PR-Bereich mit der Bildzeitung und Anhängseln zu verscherzen wäre so, als würde man versuchen in der katholischen Kirche Karriere zu machen, aber als erste Amtshandlung den Papst als Salonschwuchtel beschimpfen. Soviel zu irgendeinem Ranking und inwiefern es für PR-Projekte taugt.

Der Grund nun, weshalb die Blogosphäre das tut, was sie am unterhaltsamsten und wohl auch wirksamsten kann, nämlich empört sein, ist ein Ranking der wichtigsten Blogs Deutschlands (und einiger anderer Staaten, ist aber irrelevant für die deutsche Diskussion), das Edelman produziert hat. Die ersten zehn Plätze sind hier zu sehen, der Rest wurde zum Download per Exceltabelle angeboten. Das allein würde schon reichen, um dem Absender die Kompetenz in Sachen Online Publizieren abzusprechen – wenn das Projekt innerhalb von Edelman grössere geschäftliche Relevanz hätte. Hat es aber nicht. Würde man mich zwingen, den Umsatz der auch nur im entferntesten blogbezogenen Projekte von Edelman im letzten Jahres zu schätzen, ich müsste mit Kommastellen und Mikrobeträgen rechnen, vielleicht würde eine Umrechnung in Zloty helfen, in die Vierstelligkeit zu gelangen.

Bei Edelman ist dieses Blogranking-Projekt sehr, sehr niedrig aufgehängt, das ist die Erklärung, weshalb die Ergebnisse der so unfassbar unprofessionell sind, obwohl der Laden insgesamt hochprofessionell arbeitet. Bitte gehen Sie davon aus, dass für den Edelman-Kunden Samsung nie, nie, niemals etwas so Unprofessionelles veröffentlicht worden wäre. Wie unprofessionell das genau war, kann man bei einem Blogger namens popkulturjunkie nachlesen, wenn man viel von Blogs versteht. Dazu muss man wissen, dass dieser Blogger sich mit Blogrankings seht intensiv beschäftigt, er führt die derzeit vollkommen konkurrenzlose Auflistung Deutsche Blogcharts, übrigens auch mit Hilfe der Technorati-Software erstellt – aber hochprofessionell, also mit Zeit und Ahnung, nachbearbeitet.

Dieses von der PR-Agentur Edelman grossspurig als "amtlich" hingestellte Ranking entstand überhaupt, weil bei den von mir selbst sehr optimistisch geschätzten 400.000 Blogs in Deutschland vollkommen unklar ist, wen man wo wie warum wofür anspricht, wenn man ein Kommunikationsziel hat, was eine PR-Agentur stets hat, dafür gibt es sie. Technorati nun misst die Anzahl der Verlinkungen von Blogs in anderen Blogs. Wie der IT-Blogger Robert Basic richtig feststellt, heisst das etwas nur knapp oberhalb von nichts. Ich selbst bin Bestandteil des kollektiven Blogs Riesenmaschine, die bei Edelman auf Platz 16, in den Deutschen Blogcharts auf Platz 14 geführt wird und also bei mehreren Hunderttausend Blogs irgendwie wichtig ist. Als Meinungsmacher relevant ist die Riesenmaschine damit trotzdem nur bedingt. Wir halten uns zum Beispiel fast komplett aus den im Wochentakt wiederkehrenden seismischen Blogkommunikationswellen heraus. Von den wichtigsten deutschen Blogereignissen 2006 zwischen Grup Tekkan und diversen Klagen und Abmahnungen gegen einzelne Blogger war in der Riesenmaschine fast nichts verlinkt, und wenn, dann Wochen später im ironischen oder doppelt metaironischen Kontext. Die Relevanz der Riesenmaschine ist totel supergross, finde ich auf offizielle Nachfrage, allerdings nicht in der deutschen Blogosphäre. Da hilft auch kein Platz 16, nicht mal Platz 14, die Riesenmaschine wird für ein bisschen Intellektuellen-Entertaiment geschätzt, viel mehr ist es auch schon nicht.

An dieser Stelle entlarvt sich jede Rankinghörigkeit und das gesamte Projekt von Edelman selbst. Relevanz innerhalb der Blogosphäre ist, genau wie die Blogosphäre selbst, äusserst eklektisch zersplittert. Das wichtigste Blog für feuerwehraffine Personen ist vermutlich das Feuerwehrblog von Irakli West und einigen anderen. Für andere ist es unwichtiger als ein verrosteter Rasierer. Das Tolle an der Blogosphäre ist, dass es sowas überhaupt gibt, und nicht nur eins, sondern noch zehn, fünfzehn andere Feuerwehrweblogs. Blogs leben von der Begeisterung und der Mitteilungsfreude einzelner Menschen und ihrer Interessen. Insofern ist eine Filterung nach einer generellen Overall-Wichtigkeit wenn überhaupt eine Krücke. Deshalb sind die Deutschen Blogcharts gut und lustig: Sie werden von einem sympathisch geisteskranken Liebhaber von Statistiken und Listenfetischisten erstellt. Das gleiche von einem Unternehmen machen zu lassen, würde fünf Vollzeit-Stellen erfordern, plus einen Volontär und zwei Praktikanten. Darin liegt die Crux von einem Nebenbei-Projekt eines Unternehmens, das sich beruflich für drei Stunden in eine Branche oder ein Interessengebiet hineinversetzen muss.

Und die Diskussion der Blogger? Die geht, wie sehr oft, auf einer sphärischen, emotionalen, aber scheinobjektiven Ebene um sie selbst und ist damit wie oben angesprochen eine Metadiskussion. Auf dem Weg zur Metametadiskussion ist sie spätestens mit diesem Beitrag.

Der einzige Rat an Blogneulinge kann deshalb derzeit nur lauten: Gehen Sie weg – aber kommen Sie in einer Woche wieder, am besten mit einem eigenen Blog. Blogs sind nämlich sinnvoll und toll, nur eben jetzt gerade nicht so.



(Wer sich trotzdem weitergehend informieren möchte, findet hier auf wirres.net von Felix Schwenzel eine aktuelle Liste der relevanten Beiträge zum Thema in der Blogosphäre.)


10.10.2006 | 09:35 | Sascha Lobo | - Das soziale Netz | - Virtuelle Mikroökonomie

Videomessage der Youtube-Gründer

Im Prinzip ist es schon ein alter Hut, nämlich einer von gestern abend, dass Google Youtube für 1,6 Milliarden Dollar in Aktien gekauft hat. Näheres zu den Hintergrunden steht umfassend bei Robert Basic. Auf vielschichtige Weise interessant finde ich aber das nebenstehende Video von zweien der Gründer, Chad Hurley und Steve Chen. In einer Danksagung an die Community versuchen sie cool zu bleiben, obwohl ihnen aus jeder Körperöffnung die Freude dringt, soeben 200 Millionen US-Dollar bekommen zu haben. "Ohne Euch wären wir nicht, wo wir jetzt sind", und beim Versprechen, auch in Zukunft "immer den besten Service anzubieten", können sie nicht mehr an sich halten und prusten los. Hier wird unterschwellig das Hauptproblem deutlich: Dieser Film ist für die Produzenten 400 Millionen Dollar wert, aber Youtube ist mit kostenlosem Content grossgeworden, den die Nutzer produziert oder zumindest illegal mitgeschnitten haben.

Die Nutzer werden aber wohl auch in Zukunft – anders als die grossen Medienhäuser, die sich Anwaltshorden leisten können, nicht an der Vermarktung ihrer eigenen Inhalte teilhaben können. In meinen Augen ein grober Fehler, den Youtube beheben sollte – oder sie laufen Gefahr, das Napster des Web 2.0 zu werden: einen Standard setzen im Graubereich der Mediennutzung, der in dem Moment vergessen ist, wo es Praktikableres gibt. Zum Beispiel eine Plattform, bei der auch die unabhängigen, privaten Clipproduzenten an den Geldflüssen beteiligt werden.


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