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Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal

Dies ist die Website und das Blog zum Buch "Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" von Holm Friebe und Sascha Lobo. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommt. Das Blog schreibt das Buch fort, gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln und informiert über neueste Entwicklungen und Frontverläufe im Kampf um den Individualismus 2.0.

20.04.2008 | 17:44 | Holm Friebe | - Der unflexible Mensch | - Money For Nothing

Ruckwärtsgewandt

Nils Minkmar heute in der FAS über die jüngste Ruckwärtsrolle von Roman Herzog et al.:

Das Land ist viel weiter und zum Glück auch spannender als diese Reflexion darüber. Jugendliche, die auf eBay mit den von chinesischen Gamern errungenen Punkten für "World of Warcraft" handeln, die auf Youtube ihre Brickfilme vergleichen und aufwendige Kurzfilme in ihre Blogs stellen, werden Belehrungen, dass sie ja pünktlich und sauber beim Meister erscheinen müssen, sonst wird es nichts mit der Lebenszeitstellung bei Daimler, nur noch als kultige Schrulle zu schätzen wissen.

Guter Punkt. Bis auf, dass man auf eBay, soweit wir wissen, keine Punkte aus "World of Warcraft" handelt, sondern wenn, dann Gold, Waffen oder ganze Characters.


20.11.2006 | 18:07 | Holm Friebe | - Der unflexible Mensch | - Work in Projects

Lob der Unvernunft

Spät, aber doch wollen wir uns der Neuveröffentlichung ZEIT-Campus widmen, die die alte Tante des deutschen Journalismus im Rahmen ihrer Bemühungen um den akademischen Nachwuchs jüngst an die Kioske gebracht hat und die schon allein wegen Zielgruppenüberschneidung in unser Ressort fällt. Und wegen thematischer Nähe: "Immer soll ich vernünftig sein", lautet der Titel (anschaulich illustriert durch eine junge Frau, die unvernünftigerweise beim Trinken die halbe Milch daneben und über sich drüber schüttet). Unterzeile: "Die Suche nach dem perfekten Lebenslauf beherrscht das Studium. Doch zum Erfolg führen auch andere Wege." Sieh mal an! Was gibt es aus dem Innenteil zu vermelden? Die Titelgeschichte nebst Umfrage unter Studenten bestätigen das gewohnt triste Bild der hochqualifizierten, pragmatischen und unter enormen Druck stehenden "Generation Praktikum". Ablöschendes Zwischenfazit: "Die Deutungsmacht über das, was als vernünftig gilt, haben die grossen Unternehmensberatungen. Sie geben vor, was ein Lebenslauf enthalten muss, und prägen dadurch das, was viele für erwartbar halten. Derzeit bedeutet dies: überdurchschnittliche Studienleistungen, Praxiserfahrungen, und ein Aufenthalt im Ausland, dazu Leistungswille, Zielgerichtetheit und Analysefähigkeit." Ergebnis dieses "Lebenslauf-Wettrüstens": für 73 Prozent ist das Studium ganz oder teilweise "eine Zeit, in der ich unter hohem Druck stehe und mich ständig beweisen muss." Dabei haben überraschenderweise nur 26 Prozent der Befragten das feste Ziel, Karriere zu machen. Heisst: Ihnen fehlt schlicht die Idee einer Alternative.

Ansätze dafür finden sich im hinteren Teil des Heftes. Thees Uhlmann von Tomte erklärt im Mensa-Interview: "Die Uni machte mich fertig" und wie er deshalb Musiker wurde. Der Zeit-Finanzkorrespondent Robert von Heusinger hält in seiner Kolumne den Ratschlag "Investieren Sie in Bier!" bereit: "Woher soll die Kreativität kommen, die sich später einmal auszahlen kann, wenn Kino, Theater und Kunstausstellung gestrichen werden, nur um monatlich 30 oder 50 Euro zur Bank zu tragen? Ich zähle selbst das philosophische Gespräch bis morgens um fünf in der Kneipe eindeutig zu den Investitionen." Unsere Rede!

Und genau in diese Kerbe schlägt auch der geschätzte Lord Ralf Dahrendorf im Interview, das man eigentlich am Stück zitieren möchte. Hier nur die Highlights: "Es ist skandalös, wenn inflexible Systeme Menschen in einem ganz bestimmten Bereich festhalten und es ihnen schwer machen, den Weg zu gehen, auf dem sie ihr Bestes geben können." Auf die Frage, ob man einfach das machen soll, was einem Spass macht: "Ja, aber nicht in dem Sinne, in dem das in Zeiten der New Economy gesagt wurde. Spass muss es machen, aber es kommt vor allem darauf an, dass ihr etwas tut, wo ihr euer Bestes geben könnt, wo ihr euch wirklich engagiert, weil es nicht zufällig daherkommt. Die entscheidende Frage ist: Wie will ich sein? Nicht: Was will ich sein." Schliesslich: "Ein Hauptmerkmal der Vernunft ist, dass man nicht mit 22 darauf schielt, möglichst viel Geld zu verdienen, sondern weiter als die nächsten zwei oder drei Jahre denkt. Etwas, das von aussen für die nächsten Jahre als vernünftig angesehen wird, ist auf lange Sicht vielleicht unvernünftig." Bingo! Von den Alten lernen heisst, die digitale Bohème verstehen lernen.


07.11.2006 | 11:52 | Holm Friebe | - Der unflexible Mensch

Luzifer ex machina

Im Kino gewesen. Gelacht. Und zwar nicht über "Borat" (darüber natürlich auch), sondern über "Der Teufel trägt Prada". Und zwar nicht nur, weil er teilweise wirklich mit ein paar guten Gags und Dialogen aufwartet, sondern weil fast der gesamte Bildungs- und Heldenreise-Plot, des Films ausschliesslich daraus besteht, dass die mauerblümchenhafte Heldin Andrea, genannt Andy, es sukzessive schafft, sich den überzogenen Leistungserwartungen und sonstigen biopolitisch-selbstdisziplinatorischen Anforderungen eines Horrorjobs unter der Fuchtel der bis zum Sadismus tyrannischen Chefredakteurin eines Modemagazins (sehr gut gespielt von Meryl Streep) anzupassen. Dass sie sich ganz am Ende pseudo-emanzipiert und den Weg in den "seriösen" Journalismus findet: geschenkt!

Dass sich der Heroismus der gebeutelten subalternen Angestellten als Identifikations- und Projektionsfläche für das Heer aller Mühseligen und Gemobbten dort draussen eignet, blieb von den zahllosen Sekretärinnenzeitschriften nicht unbemerkt, die den Film und die darin gefeatureten Ego-Accessoirs heftig cross-promoteten und damit erst zum Box-Office-Erfolg machten. Bestand der Heroismus des kleinen Angestellten C.C. Baxter in Billy Wilders "The Appartement" noch in der allmählichen Auflehnung gegen das höllische System, wird hier auf Spielfilmlänge die Anpassung und Überaffirmation, die keine Subversion mehr kennt, gefeiert und in kleinen Lerneinheiten zum zu Hause und in der Firma nachspielen vorexerziert. Dass einem damit "nach nur einem Jahr Durchhalten" alle Türen offen stünden, ist die am Stock vor die Nase gebundene Mohrrübe und – im realen Angestellten-Leben – der Zug, der niemals kommt. Aber wenigstens helfen Filme wie dieser, die eigene missliche Ausbeutungssituation als glamourös wahrzunehmen und ins Heldenhafte zu stilisieren. Wir sollen lernen, uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen.

P.S.: Dazu passt (nicht wirklich) ein Ausspruch des Modebranchen-Aussteigers und grossen Verweigerers Helmut Lang, der im aktuellen Spiegel die Quintessenz seines Arbeitslebens zusammenfasst mit: "In der Zeit, in der du nicht versuchst, produktiv zu sein, bist Du in Wahrheit wirklich produktiv." So wollen wir es auch halten.


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