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Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal

Dies ist die Website und das Blog zum Buch "Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" von Holm Friebe und Sascha Lobo. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommt. Das Blog schreibt das Buch fort, gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln und informiert über neueste Entwicklungen und Frontverläufe im Kampf um den Individualismus 2.0.

14.11.2006 | 17:09 | Sascha Lobo | - Das Prinzip Bohème | - Die Währung Respekt | - Bohème und Big Business

Digital Bohemian Lifestyle – Station Rose


This is Digital Bohemian Lifestyle
Für die Suche des Titels für unser Buch haben wir Anfang diesen Jahres mehr als zwei Monate verwendet. Dabei sind wir auch in abenteuerliche Untiefen geraten, etwa im Februar waren wir Feuer und Flamme, das Buch "Die Weber" zu nennen, mit Bezug ebenso auf den Aufstand der Weber wie auf das Web. "Die Weber 2.0", um Gottes Willen, zum Glück hat irgendjemand ein energisches Veto eingelegt. Besonders lag uns dabei die Bezeichnung für die Menschen am Herzen, die wir beschreiben wollten – immerhin wollten wir auch ein Identifikationsbuch schreiben, in dem man sich wiederfinden kann und dazu braucht man erfahrungsgemäss einen Namen. Der Bestandteil Bohème stand dabei von Anfang an fest, vor allem wegen der kollektiven Arbeitsstrukturen der Bohème seit jeher, um die es uns ging. Der Begriff für diese Personen wechselte bei uns ebenfalls täglich, fing an als "Neue Bohème", was uns zu laff war, und erreichte wiederum abseitige Wurstigkeit mit den "ViBs", was gleichzeitig für "virtuelle Bohème" und "Vitamin B" stehen sollte. Nun ja. Schliesslich fiel uns das Naheliegendste ein: digitale Bohème. Der Begriff schlug nicht gleich ein, aber hatte als einziger einen beständigen Charme und konnte sich schliesslich bei uns durchsetzen. Ich googelte den Begriff "digitale Bohème" und fand keine substanziellen Treffer. So weit, so gut, so bekannt.

Auch wenn wir überall auf die Einzelzutaten stiessen: Was wir nicht genau genug recherchierten, war die wörtliche englische Entsprechung. Sonst wären wir vermutlich über einige Umwege auf den "Digital Bohemian Lifestyle" gestossen, geprägt im Umfeld der Mutter aller Internet-Communities ("The Well"), von Elisa Rose und Gary Danner entwickelt, dem Künstlerduo Station Rose. Julian Dibbell, den wir im Buch zu einem anderen Thema zitieren, nennt den Begriff "Digital Bohemia" sogar in einem Text von 1993 und bezieht sich dabei auf The Well. Inzwischen – etwa seit Anfang des Jahrtausends – taucht vor allem im US-amerikanischen Internet auch die explizite Zusammenziehung "Digital Bohemia" sporadisch auf, mal mit, mal ohne Verweis auf the Well; im Buch "Neo-Bohemia: Art and Commerce In Postindustrial Chicago" von Dezember 2005 lautet sogar eine Kapitelüberschrift "The Digital Bohemia". Der Begriff liegt und lag also vermutlich in der Luft.
Gut möglich, dass Rose and Gary es waren, die etwas Ähnliches erstmals geprägt haben.

Deshalb möchte ich sie, ihren Ideen und ihren Begriff des "Digital Bohemian Lifestyle" hier vorstellen – wenn sie ihn auch anders verstehen als wir. In The Well gibt es ein Interview mit Rose und Gary, in dem sie sehr schön erklären, worauf es ihnen ankommt.

Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung ist eines sehr interessant und bestätigt unsere Auffassung: Das, was vor gut zehn Jahren eine künstlerische Elite beschäftigt und ausgezeichnet hat, hat nun eine breite gesellschaftliche Relevanz bekommen – das Aufeinandertreffen der digitalen Welt und die wirtschaftliche Nutzung der eigenen Kreativität. Um Rose und Gary im Sinne des Netzwerks und der Währung Respekt die ihnen gebührenden Credits einzuräumen, möchte ich hier auf die interessanten und vielfältigen Werke von Station Rose hinweisen:

Das Buch ://on Demand, jüngst erschienen im Revolver Verlag, passend dazu im Sinne der ganzheitlichen Kreativität eine EP mit Musik drauf. Und schliesslich noch das Buch "1st decade" von 1998, in dem der "Digital Bohemian Lifestyle" ab Seite 121 vorgestellt wird. Im Sinne des Web 2.0 darf natürlich weder MySpace noch das Video eines Auftritts auf YouTube fehlen.


09.11.2006 | 12:21 | Holm Friebe | - Bohème und Big Business | - Money For Nothing

Jetzt alle Mann in die MMORPGs!


Willkommen demnächst in "Second Life"
Es ist ein bisschen, als seien alle Excel-Sheet-Fresser und Business-Zombies der New-Economy, die mit dem Platzen der Blase vor fünf Jahren in Leichenstarre verfielen, mit einem Mal wieder hochgeschreckt und durch das Zauberwort "Web 2.0" zu neuem Leben erweckt worden. Überall herrscht rege Geschäftigkeit, es wird wieder mit Venture Capital um sich geworfen und alle wollen etwas vom – diesmal Web 2.0 genannten – Kuchen abhaben, was dazu führt, das ansonsten nüchterne und hard-facts-orientierte BWLer sich mit einmal in den virtuellen Welten von "Second Life" und anderen MMORPGs tummeln und sich verwundert die Augen reiben, was da hinter ihrem Rücken so alles entstanden ist, während sie noch dem so genannten E-Commerce nachtrauerten.

Douglas Coupland, der mit Microserfs schon frühzeitig die Schattenseiten der New Economy beschrieb, hat passenderweise mit Jpod kürzlich das nötige Update geliefert. Die Softwarefirma aus Microserfs ist in Jpod nun eine Gaming-Klitsche, sonst hat sich nicht viel geändert. Dazu passt, dass nun nach American Apparel und Adidas auch die Bild-Zeitung grossspurig ankündigt, demnächst, bzw. quasi ab sofort eine wöchentliche Boulevardzeitung für "Second Life" herauszubringen.

Zwar ist das ungefähr genau das, worauf die Bewohner gerade noch gewartet haben. Und zwar hat vermutlich bei Bild/Springer bislang kaum jemand einen blassen Schimmer, wie es in Second Life zugeht und was dort geht und nicht geht. Aber irgendwie muss es ja gehen, "die anderen machen es schliesslich auch" (Loriot). Andererseits, so wie die Bild-Zeitung momentan funktioniert – mit ca. 150 Darstellern und Ex-Promi-Avataren, die als willfährige Marionetten von Kai Diekmann hochgezogen und fallengelassen werden, wird ein Republiktheater aufgeführt, das nur noch entfernt mit der realen Welt dort draussen zu tun hat – hat man bei Bild durchaus Erfahrungen mit Parallelwelten und Zweitrealitäten. Von daher ist der Schritt am Ende vielleicht doch nicht so gross.


08.11.2006 | 11:26 | Holm Friebe | - Bohème und Big Business

Von Menschen und Mastschweinen

So. Endlich mal ein Verriss! Und zwar heute in der Financial Times Deutschland, somit durchaus satisfaktionsfähig. Verfasst von einem gewissen Gregor Kessler, darin unter anderem dieser allesvernichtend geronnene Schlusspart:

Je tiefer sich das Buch in die interaktive Wunderwelt des Web 2.0 vorarbeitet und desto mehr wirkt es wie ein überfüttertes Mastschwein. Die Knochen der digitalen Boheme sind zu schwach, um das schwere Fleisch der übereifrig zusammengeklaubten Empirie zu tragen. Schliesslich bricht das Tier zusammen: Der Nachweis der überlebensfähigen Existenz einer neuen Boheme ausserhalb der Berliner W-Lan-Cafés bleibt aus.

Aber sagen Sie mal, Herr Kessler, der Sie aktennotorisch eher für linkslastige Organe wie die Taz oder den Textem-Verlag und dessen gleichnamiges Online-Magazin arbeiten, wo man unser Buch, resp. die Hamburger Lesung, resp. das Publikum dort auch nicht besonders mochte, und für das Schweineblatt FTD nur im Dienste der hehren Aufklärung und subtilen Subversion ihre klugen Zeilen zur Verfügung stellen, ohne dabei jedoch Ihren wahren Standpunkt – Sie würden wahrscheinlich Sprecherposition sagen – offen zu legen: Hängt da nicht das Bild ein bisschen schief? Müsste in ihrer Metapher nicht, wo Sie uns doch im letzten Satz Substanzlosigkeit attestieren, eher das Fleisch auf den Knochen fehlen, als das Mastschwein immer fetter werden, bis es zusammenbricht? Oder kommt einem so etwas in den Sinn, wenn man zu lange von den Fleischtöpfen des Kapitals genascht hat? Nur mal so.

P.S.: Heute besteht übrigens Gelegenheit, sich im Rahmen einer Lesung im Berliner Radialsystem mit eigenen Augen vom ordnungsgemässen Füllzustand des Mastschweins zu überzeugen.


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