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Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal

Dies ist die Website und das Blog zum Buch "Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" von Holm Friebe und Sascha Lobo. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommt. Das Blog schreibt das Buch fort, gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln und informiert über neueste Entwicklungen und Frontverläufe im Kampf um den Individualismus 2.0.

09.01.2008 | 00:08 | Holm Friebe | - Kommunizierende Röhren

Wieso? Weshalb? Warum?

So. Jetzt hat also auch noch einmal die taz mit einigem Abstand und ohne äussere Not alles durcheinander gebracht. Dabei hatte doch die nette Nina Apin in derselben Zeitung zwar kritisch, aber durchaus informiert vom 9to5 Festival-Camp berichtet. Warum muss jetzt Christiane Müller-Lobeck ausgerechnet beim Grenzanbieter Thomas Thiel von der FAZ abschreiben, was sich daran dingfest machen lässt, dass nur er den Festivalnamen mit "neun bis fünf" wiedergab, wie es nun aus zweiter Hand in der taz steht. Wieso merkt diese Frau nicht, dass offensichtlich etwas mit dem Autor nicht stimmen kann, wenn er inmitten verstolperter "New Journalism"-Gehversuche, die schon am profunden Desinteresse an der Umgebung scheitern (wie sonst kann man die Ver.di- mit der DGB-Zentrale verwechseln?) absatzweise zustimmend die Junge Welt als veritable Quelle für Ideologiekritik heranzitiert? In der FAZ! Wieso denn bloss? Und welche Freude an der groben Vereinfachung muss man an den Tag legen, um daraus einen Fall zu konstruieren, der Jörn Morisses schönes Buch "Wovon lebst Du eigentlich?" gegen das 9to5.Wir nennen es Arbeit-Festival ausspielt, bei dem Jörn die Programmdirektion inne hatte, und das auch nicht wirklich identisch mit dem Buch ist, um das es hier geht? Warum möchte Müller-Lobeck "die Bröseligkeit des noch vor einem Jahr knackigen Begriffs" der digitalen Bohème ausgerechnet aus einem Buch herauslesen, das vor einem Jahr entstanden ist? Um das noch einmal zu betonen: Zwischen uns und Jörn, zwischen "Wir nennen es Arbeit" und "Wovon lebst Du eigentlich?" passt kein Blatt Papier. Aber noch ein paar Bücher mehr, die das genauere Hinschauen lohnen und Nachdenken erfordern.


17.12.2007 | 16:18 | Sascha Lobo | - Das Prinzip Bohème

Produktive Pause

Sowohl Holm Friebe wie auch ich sind im Moment tief in anderen Buchprojekten vergraben, natürlich nicht gemeinsam, sondern mit anderen Drittautoren. Holm schreibt mit Thomas Ramge etwas über die grossartige Bastelrenaissance, ich schiebe mit Kathrin Passig ein Buch über Prokrastination auf, für das wir uns aber bereits vollkommen unrealistische Deadlines gesetzt haben. Beide Bücher aneinandergeklebt können durchaus als leicht verwachsener Nachfolger zu "Wir nennen es Arbeit" gelten, unter eleganter Umgehung der politischen Hintergründe und Entwicklungen. Die beackern wir – getrennt marschieren, getrennt zuschlagen, gemeinsam wirken – andernorts.

Das sind nur einige von 237 Gründen, weshalb hier seit einiger Zeit bemerkenswert wenig passiert. Das ist aber nicht schlimm, sondern eben nur als Pause (daher der Titel) zu betrachten, denn spätestens im nächsten Spätsommer wird "Wir nennen es Arbeit" wieder brandaktuell und kochend heiss: dann wird die aktualisierte Taschenbuchausgabe erscheinen, mit einem nagelneuen Vorwort und tollen Ergänzungen und einem zusätzlichen Kapitel über Nagetiere. Bis dahin hiberniert diese Seite ein wenig vor sich hin, liegt im Mondlicht schimmernd im Internet herum und steckt gelegentlich vielleicht doch mal den Kopf aus der Höhle. Das nur als Statusmeldung.


07.09.2007 | 22:41 | Holm Friebe | - Die parallele Gesellschaft

Grünes Grundeinkommen, misc.

Die Berliner Grünen haben mich eingeladen, auf ihrer morgigen Regionalkonferenz zum Thema Von der Grundischerung zum Grundeinkommen Stellung zu beziehen und als Sprecher der digitalen Bohème etwaige Forderungen zu erheben. Na, dann wollen wir doch mal:

1.) Bedingungsloses Grundeinkommen

Ja, logisch. Einfach weil der produktive Fortschritt mittlerweile die Entkopplung von selbstgewählter Tätigkeit und schiererer Existenzsicherung nicht nur erlaubt, sondern als zivilisatorischen Standard gebietet. In dem Moment aber, wo man diese Minimalforderung "negative Einkommensteuer" nennt, bekommt sie etwas pragmatisches und verliert ihren heilsbringerischen Gestus, als sei sie die letztgültige Antwort auf alle Fragen. Vor allem darf man sich nicht von dem Budenzauber blenden lassen, den philantrope Unternehmer zum Thema abfackeln, um sich von jeglicher Steuerlast zu befreien. Die Refinanzierung darf nicht über die Konsumsteuer passieren, da das wiederum die kleinen Einkommen ohne Sparneigung am härtesten trifft. Die Möglichkeit der Umverteilung muss erhalten bleiben, sprich: die Progression der Einkommensteuer – es gibt keinen Grund, das Grundeinkommen an irgendeine Flat tax zu koppeln. Vielmehr müsste man darüber nachdenken, wie man die Besteuerungsbasis verbreitert, also alle Einkommensarten, auch Mieten und Kapitaleinkommen gleichmässig heranzieht.

Wichtig an der negativen Einkommensteuer ist, dass sie anreizkompatibel ist, das heisst vom ersten dazuverdienten Euro bleibt etwas übrig für die eigene Tasche. Das schafft Anreize zur Eigeninitiative und verhindert Schwarzarbeit. Die absolute Höhe des "Grundeinkommens" ist dabei zunächst mal vernachlässigbar, da nach einer solchen Operation (und die bis dahin stattfindende Inflation) das Preisgefüge ohnehin ein anderes sein wird. Fest steht: Es wird nicht genug sein zum guten Leben. Schon allein deshalb sollte man damit nicht das feine Besteck einer differenzierten und bedarfsabhängigen sozialstaatlichen Fürsorge aus der Hand geben.

Das grosse Problem beim Grundeinkommen, das ich sehe, ist, dass es so etwas wie die "Blaue Blume" emanzipatorischer Politik ist. Alle sind sich einig, dass es erstrebenswert wäre, dass es aber unter derzeitigen politischen Bedingungen nicht durchsetzbar ist. Die drängendere Frage ist also: was machen wir bis dahin?

2.) Bessere Absicherung von prekären Freiberuflern im bestehenden System

Die Ignoranz der Politik für neue Arbeitsformen und Erwerbsmodelle zeigt sich am deutlichsten beim Thema Rente und Altersvorsorge. Die ZEIT schreibt in der vorletzten Ausgabe:

"Waren bisher vor allem nicht erwerbstätige Mütter die Verlierer der Rentenpolitik, so werden dies in Zukunft Geringverdiener, Arbeitslose und Selbständige sein. Für sie gibt es wenig Grund, über die 'Rente mit 67' zu jammern, viele von ihnen werden im Alter so lange weiterarbeiten, wie es geht, manchmal bis zum Tod. An dieser Zielgruppe geht die schwarz-rote Rentenpolitik vorbei."

Das selbe Muster zeichnet sich beim Elterngeld, der Förderung von Betriebsrenten oder der Forderung nach Investivlöhnen ab. Die ZEIT weiter:

"Beinahe hätte die Koalition vor der Sommerpause noch einen 'Pflege-Riester' eingeführt, mit dem das Sparen für den Pflegefall subventioniert werden soll. Gemeinsam ist all diesen Ideen, dass sie nur Menschen helfen, die durch die gesetzliche Rentenversicherung schon abgesichert sind. Ihnen droht aber ohnehin nur selten Armut. Freiberufler hingegen, egal ob wohlhabend oder arm, haben keinen Anspruch auf Riester-Förderung. So geht die staatliche Hilfe an denen vorbei, die sie besonders brauchen. Doch die Nöte des alternden Prekariats sind momentan kein Thema – die Regierung schweigt und schaut weg."

Was also tun? Die Künstlersozialkasse ist eine vorbildliche Insellösung, mit der es gelungen ist, Künstler und freischaffende Publizisten, die notorisch keinen festen Arbeitgeber haben, mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zumindest gleich zu stellen, indem der Staat (über ein komplizierte Konstrukt) in die Rolle des Arbeitgebers steigt und dessen Anteil zu Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung übernimmt. Das Modell der Künstlersozialkasse müsste ausgeweitet werden – und nicht zurückgeschraubt, wie es zur Zeit passiert, indem nämlich gerade die vielen neuen Berufe aussortiert werden, die nicht ins starre Positiv-Schema passen. Versuchen Sie mal als Architekt in Second-Life in die KSK zu kommen!

Wenn das Modell nicht auf einen Schlag auf alle Soloselbständigen ausgeweitet werden kann (dafür ist es in der Tat nicht ausgelegt), sollte zumindest der Bereich der Bildung eingemeindet werden. Wer die Zustände und Honorarsätze für Lehreinheiten an deutschen Hochschulen kennt, weiss, dass dort die Not fast grösser ist als in der sprichwörtlich brotlosen bildenden Kunst.

3.) Freiberufler-Streamlining

Generell sollten alle Massnahmen der Politik einem Freiberufler-Streamlining (analog dem Gender Streamlining) unterzogen werden, das heisst, darauf hin abgeklopft, ob sie prekäre Selbständige nicht diskriminieren. Dazu könnte auch ein Diskriminierungsverbot für Dritte kommen. Ein gutes Beispiel, dass so etwas notwendig ist, sind die Girokonoto-Konditionen der Postbank (an der der Staat immer noch Anteile hält). Das überall beworbene "kostenlose" Girokonto ist an die kleingedruckte Bedingung eines "monatlichen bargeldlosen Geldeingang von 1.250 EUR (Gehalt, Mieteinnahmen, Rente, etc.)" geknüpft, andernfalls werden monatliche Gebühren von 5,90 € fällig. Derlei Willkür muss Einhalt geboten werden.

4.) Abschied vom Normalarbeitstag

Grundsätzlich ist eine Ausweitung der Kinderbetreuung ja ganz im Sinne einer freiberuflichen Klientel. Aber die Ausgestaltung, sprich: die Öffnungszeiten von Krippen, und Kindertagesstätten folgen dabei dem gleichgeschalteten Normalarbeitstag des Industriezeitalters. Die Tatsache, dass ein Kind häufig nicht mehr reingelassen wird, wenn man es nach neun abgeben will, ist der eigentliche Skandal. Von den Anfangszeiten des Schulunterrichts einmal ganz zu schweigen, unter dem nicht nur die Eltern leiden, sondern insbesondere auch die Kinder, wie immer mehr Ärzte neuerdings feststellen. Nach dem Einzelhandel mit seinen erweiterten Ladenöffnungszeiten sollten endlich auch staatliche Institutionen Menschen mit abweichende Tagesrhythmen akzeptieren.

5.) Abbau bürokratischer Schikanen

Oft sind es gar nicht mal so sehr die ökonomischen Zumutungen, die die freiberufliche Existenz bedrohen, sondern bürokratische Schikanen, die aus schierer Ignoranz errichtet werden. Beispiel: Wer sich selbständig macht und dazu beim Finanzamt eine Umsatzsteuer-Nummer beantragt, wird im ersten Jahr dazu verpflichtet, seine Umsatzsteuererklärung monatlich abzugeben, auch wenn die Umsätze absehbar niemals die Regionen erreichen, wo das erforderlich wäre. Gerade in der Gründungsphase bindet das enorme Kräfte, die anderswo fehlen. Hinzu kommt, dass die Usability der Schnittstellen mit dem Finanzamt und anderen Behörden alles andere als ergonomisch sind. Hier würde man sich mehr geschmeidiges Interface-Design und Barrierefreiheit auch für Papierkram-Legastheniker wünschen. Vom Web 2.0 lernen, heisst dienen lernen. Alternativ und flankierend könnte über die Einrichtung eines Ombudsmannes bei der Verwaltung nachgedacht werden, der als erster Ansprechpartner und Lotse im Verwaltungsdickicht funktioniert.

6.) Freies W-LAN

Am besten im gesamten Stadtgebiet. Insbesondere an sozialen Brennpunkten und in Armutsquartieren macht sich die digitale Spaltung als Bildungsgefälle mit allen sozialen Konsequenzen bemerkbar. Gerade für den Problemstandort Berlin würde eine derartige Initiative – nach dem Vorbild der Luftbrücke oder des 100-Euro-Laptops für Afrika – Sinn ergeben. Es wäre ein Schritt, der siechen Hauptstadt auf die Sprünge zu helfen, an dem Infrastruktur-Anbieter, Grosskonzerne, Stiftungen und die öffentliche Hand gemeinsam guten Willen beweisen könnten. Was Tallinn und Malaga können, können wir schon lange.


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