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Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal

Dies ist die Website und das Blog zum Buch "Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" von Holm Friebe und Sascha Lobo. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommt. Das Blog schreibt das Buch fort, gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln und informiert über neueste Entwicklungen und Frontverläufe im Kampf um den Individualismus 2.0.

07.09.2007 | 22:41 | Holm Friebe | - Die parallele Gesellschaft

Grünes Grundeinkommen, misc.

Die Berliner Grünen haben mich eingeladen, auf ihrer morgigen Regionalkonferenz zum Thema Von der Grundischerung zum Grundeinkommen Stellung zu beziehen und als Sprecher der digitalen Bohème etwaige Forderungen zu erheben. Na, dann wollen wir doch mal:

1.) Bedingungsloses Grundeinkommen

Ja, logisch. Einfach weil der produktive Fortschritt mittlerweile die Entkopplung von selbstgewählter Tätigkeit und schiererer Existenzsicherung nicht nur erlaubt, sondern als zivilisatorischen Standard gebietet. In dem Moment aber, wo man diese Minimalforderung "negative Einkommensteuer" nennt, bekommt sie etwas pragmatisches und verliert ihren heilsbringerischen Gestus, als sei sie die letztgültige Antwort auf alle Fragen. Vor allem darf man sich nicht von dem Budenzauber blenden lassen, den philantrope Unternehmer zum Thema abfackeln, um sich von jeglicher Steuerlast zu befreien. Die Refinanzierung darf nicht über die Konsumsteuer passieren, da das wiederum die kleinen Einkommen ohne Sparneigung am härtesten trifft. Die Möglichkeit der Umverteilung muss erhalten bleiben, sprich: die Progression der Einkommensteuer – es gibt keinen Grund, das Grundeinkommen an irgendeine Flat tax zu koppeln. Vielmehr müsste man darüber nachdenken, wie man die Besteuerungsbasis verbreitert, also alle Einkommensarten, auch Mieten und Kapitaleinkommen gleichmässig heranzieht.

Wichtig an der negativen Einkommensteuer ist, dass sie anreizkompatibel ist, das heisst vom ersten dazuverdienten Euro bleibt etwas übrig für die eigene Tasche. Das schafft Anreize zur Eigeninitiative und verhindert Schwarzarbeit. Die absolute Höhe des "Grundeinkommens" ist dabei zunächst mal vernachlässigbar, da nach einer solchen Operation (und die bis dahin stattfindende Inflation) das Preisgefüge ohnehin ein anderes sein wird. Fest steht: Es wird nicht genug sein zum guten Leben. Schon allein deshalb sollte man damit nicht das feine Besteck einer differenzierten und bedarfsabhängigen sozialstaatlichen Fürsorge aus der Hand geben.

Das grosse Problem beim Grundeinkommen, das ich sehe, ist, dass es so etwas wie die "Blaue Blume" emanzipatorischer Politik ist. Alle sind sich einig, dass es erstrebenswert wäre, dass es aber unter derzeitigen politischen Bedingungen nicht durchsetzbar ist. Die drängendere Frage ist also: was machen wir bis dahin?

2.) Bessere Absicherung von prekären Freiberuflern im bestehenden System

Die Ignoranz der Politik für neue Arbeitsformen und Erwerbsmodelle zeigt sich am deutlichsten beim Thema Rente und Altersvorsorge. Die ZEIT schreibt in der vorletzten Ausgabe:

"Waren bisher vor allem nicht erwerbstätige Mütter die Verlierer der Rentenpolitik, so werden dies in Zukunft Geringverdiener, Arbeitslose und Selbständige sein. Für sie gibt es wenig Grund, über die 'Rente mit 67' zu jammern, viele von ihnen werden im Alter so lange weiterarbeiten, wie es geht, manchmal bis zum Tod. An dieser Zielgruppe geht die schwarz-rote Rentenpolitik vorbei."

Das selbe Muster zeichnet sich beim Elterngeld, der Förderung von Betriebsrenten oder der Forderung nach Investivlöhnen ab. Die ZEIT weiter:

"Beinahe hätte die Koalition vor der Sommerpause noch einen 'Pflege-Riester' eingeführt, mit dem das Sparen für den Pflegefall subventioniert werden soll. Gemeinsam ist all diesen Ideen, dass sie nur Menschen helfen, die durch die gesetzliche Rentenversicherung schon abgesichert sind. Ihnen droht aber ohnehin nur selten Armut. Freiberufler hingegen, egal ob wohlhabend oder arm, haben keinen Anspruch auf Riester-Förderung. So geht die staatliche Hilfe an denen vorbei, die sie besonders brauchen. Doch die Nöte des alternden Prekariats sind momentan kein Thema – die Regierung schweigt und schaut weg."

Was also tun? Die Künstlersozialkasse ist eine vorbildliche Insellösung, mit der es gelungen ist, Künstler und freischaffende Publizisten, die notorisch keinen festen Arbeitgeber haben, mit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zumindest gleich zu stellen, indem der Staat (über ein komplizierte Konstrukt) in die Rolle des Arbeitgebers steigt und dessen Anteil zu Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung übernimmt. Das Modell der Künstlersozialkasse müsste ausgeweitet werden – und nicht zurückgeschraubt, wie es zur Zeit passiert, indem nämlich gerade die vielen neuen Berufe aussortiert werden, die nicht ins starre Positiv-Schema passen. Versuchen Sie mal als Architekt in Second-Life in die KSK zu kommen!

Wenn das Modell nicht auf einen Schlag auf alle Soloselbständigen ausgeweitet werden kann (dafür ist es in der Tat nicht ausgelegt), sollte zumindest der Bereich der Bildung eingemeindet werden. Wer die Zustände und Honorarsätze für Lehreinheiten an deutschen Hochschulen kennt, weiss, dass dort die Not fast grösser ist als in der sprichwörtlich brotlosen bildenden Kunst.

3.) Freiberufler-Streamlining

Generell sollten alle Massnahmen der Politik einem Freiberufler-Streamlining (analog dem Gender Streamlining) unterzogen werden, das heisst, darauf hin abgeklopft, ob sie prekäre Selbständige nicht diskriminieren. Dazu könnte auch ein Diskriminierungsverbot für Dritte kommen. Ein gutes Beispiel, dass so etwas notwendig ist, sind die Girokonoto-Konditionen der Postbank (an der der Staat immer noch Anteile hält). Das überall beworbene "kostenlose" Girokonto ist an die kleingedruckte Bedingung eines "monatlichen bargeldlosen Geldeingang von 1.250 EUR (Gehalt, Mieteinnahmen, Rente, etc.)" geknüpft, andernfalls werden monatliche Gebühren von 5,90 € fällig. Derlei Willkür muss Einhalt geboten werden.

4.) Abschied vom Normalarbeitstag

Grundsätzlich ist eine Ausweitung der Kinderbetreuung ja ganz im Sinne einer freiberuflichen Klientel. Aber die Ausgestaltung, sprich: die Öffnungszeiten von Krippen, und Kindertagesstätten folgen dabei dem gleichgeschalteten Normalarbeitstag des Industriezeitalters. Die Tatsache, dass ein Kind häufig nicht mehr reingelassen wird, wenn man es nach neun abgeben will, ist der eigentliche Skandal. Von den Anfangszeiten des Schulunterrichts einmal ganz zu schweigen, unter dem nicht nur die Eltern leiden, sondern insbesondere auch die Kinder, wie immer mehr Ärzte neuerdings feststellen. Nach dem Einzelhandel mit seinen erweiterten Ladenöffnungszeiten sollten endlich auch staatliche Institutionen Menschen mit abweichende Tagesrhythmen akzeptieren.

5.) Abbau bürokratischer Schikanen

Oft sind es gar nicht mal so sehr die ökonomischen Zumutungen, die die freiberufliche Existenz bedrohen, sondern bürokratische Schikanen, die aus schierer Ignoranz errichtet werden. Beispiel: Wer sich selbständig macht und dazu beim Finanzamt eine Umsatzsteuer-Nummer beantragt, wird im ersten Jahr dazu verpflichtet, seine Umsatzsteuererklärung monatlich abzugeben, auch wenn die Umsätze absehbar niemals die Regionen erreichen, wo das erforderlich wäre. Gerade in der Gründungsphase bindet das enorme Kräfte, die anderswo fehlen. Hinzu kommt, dass die Usability der Schnittstellen mit dem Finanzamt und anderen Behörden alles andere als ergonomisch sind. Hier würde man sich mehr geschmeidiges Interface-Design und Barrierefreiheit auch für Papierkram-Legastheniker wünschen. Vom Web 2.0 lernen, heisst dienen lernen. Alternativ und flankierend könnte über die Einrichtung eines Ombudsmannes bei der Verwaltung nachgedacht werden, der als erster Ansprechpartner und Lotse im Verwaltungsdickicht funktioniert.

6.) Freies W-LAN

Am besten im gesamten Stadtgebiet. Insbesondere an sozialen Brennpunkten und in Armutsquartieren macht sich die digitale Spaltung als Bildungsgefälle mit allen sozialen Konsequenzen bemerkbar. Gerade für den Problemstandort Berlin würde eine derartige Initiative – nach dem Vorbild der Luftbrücke oder des 100-Euro-Laptops für Afrika – Sinn ergeben. Es wäre ein Schritt, der siechen Hauptstadt auf die Sprünge zu helfen, an dem Infrastruktur-Anbieter, Grosskonzerne, Stiftungen und die öffentliche Hand gemeinsam guten Willen beweisen könnten. Was Tallinn und Malaga können, können wir schon lange.


Kommentar #1 von Oli:

zu Punkt 6. nur eine kleine Korrektur und ein Hinweis, den Du bestimmt auf dem Radarschirm hast:
Korrektur:
Der 100-Dollar-Laptop alias "OLPC" ist nicht allein für Afrika gedacht, sondern bereits in Lateinamerika, den verschiedenen asiatischen Regionen, usw. im Einsatz. (übrigens sind die Berichte der OLPC-Aktivisten oder -Mitarbeiter von ihren Einsatzen in den Anden oder sonstigen abgelegenen Gebieten sehr spannend und interessant – mich hat die Lektüre und Fotos/Videos anschauen viele Stunden wertvollster DiBo-Arbeitszeit gekostet, aber das war es wert.
Hinweis:
Die c-base kann immer noch neue Mitglieder gebrauchen und vielleicht möchten ja ein paar Abgeordnete usw. eine wenig ihres Festeinkommens sinnvoll anlegen?
Details und Mitgliedsanträge gibt es auf http://c-base.org/
Und Spenden sind auch bei der Freifunk-Initiative sehr gerne gesehen, aber das weisst Du ja spätestens seit 9to5 ;-)
Ich hoffe, dass nach Deinem Auftritt alle Anwesenden die c-base und Freifunk kennen und auch dranbleiben an deren Themen, aber Aufmerksamkeit, Zeit und Interesse ist ja ein knappes Gut in der Politik...

08.09.2007 | 03:38

Kommentar #2 von Hermann Braeuer:

Holm, Du solltest die Forderungen ein kleines bisschen zurückschrauben, um sie in der Gesamtheit wirkungsvoller zu gestalten.
Zu Deinem Punkt 5: Ich habe wirklich schon viele Steuerfragen auszukniffeln gehabt (wann genau darf ich keine 7% MwSt berechnen; wann bin ich USt-befreit bei Rechnungen ins Ausland, etc.) und jedesmal genügte ein einziger Anruf bei meiner Sachbearbeiterin im Finanzamt, die kompetent und nett alle Probleme beseitigt hat. Kein Bedarf für einen Ombudsmann.
Punkt 3: Andere Banken sind etwas günstiger als die Postbank, aber generell gibt es vermutlich auch beim SL-Latzhosen-Designer Rabatte, wenn man ganz furchtbar viele SL-Latzhosen kauft. Wieso sollten also die Urväter des Kapitalismus anders arbeiten?
Punkt 2: Generell richtig, aber Obacht! Die KSK ist eine lockende Falle, in die der unbedarfte Freiberufler gerne tappt. Ich bin – mit einer kleinen Unterbrechung – seit 1991 KSK-Mitglied und weiss aus eigener Erfahrung nur zu genau, dass hier die Gefahr droht, am falschen Ende zu sparen. Man gibt natürlich im Eintrittsjahr das gerade geltende Mindesteinkommen an, weil man ja nicht viel einnimmt. Dann lässt man die Geschichte schleifen und nur zehn Jahre später hat man zwar exponentiell gestiegene Einnahmen, ist aber beschissen rentenversichert und liegt im Malaisenfall auf dem Flur der Leprastation. Bitte die Kandidaten darauf hinweisen, in ihrem eigenen Sinn die korrekte Einkommenserwartung anzugeben.

08.09.2007 | 04:57

Kommentar #3 von Jörg Drescher (Iovialis):

Danke für diesen Beitrag! Studenten meinten in den 1968ern noch: "Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot!" Dabei heisst für mich das Grundeinkommen nicht, ob es finanzierbar oder politisch beherrschbar ist, sondern: Sind wir bereit, eine solche "Blaue Blume" (wie im Text genannt) zu finden und ihre Farbe zu akzeptieren, statt sie rot zu färben? Sind wir reif, die Notwendigkeit einzusehen, zu arbeiten, zu wählen, zu entscheiden ... und zu leben? Wir haben nicht nur die Freiheit, "Nein" zu sagen, sondern auch die Freiheit, ein "Ja" auszusprechen.

10.09.2007 | 14:06

Kommentar #4 von Pete:

Sollte das Grundeinkommen durchgesetzt werden, ist Punkt 2 zumindest was die Rente angeht obsolet.
Bei der Krankenversicherung sieht es zwar anders aus, aber hier muss das gesamte System umgebaut werden. Es kann nicht angehen, dass Privatversicherte sich nicht am solidarischen System beteiligen. Eine Bürgerversicherung, bei der jeder nach Risikoklasse einzahlt wäre dem momentanen System vorzuziehen. Natürlich muss das dann vom Staat gegenfinanziert werden, um Familien und Geringverdiener nicht schlechter zu stellen. Das ist aber über die Einkommensteuer, auf alle Einkommensarten, nicht nur Lohneinkommen, effizienter gestaltbar.
Zu 3.)
Bloss nicht, dann darf man ja bald gar nichts mehr individuell gestalten, ohne gleich Angst vor einer Klage haben zu müssen. Standardverträge haben ja grundsätzlich Klauseln, die irgend wen ausschliessen. Wenn man deine Überlegung weiter führt, dann wären auch Vergünstigungen für Kinder, Studenten, Senioren und Behinderte unzulässig. Oder willst du einen Kriterienkatalog, in dem zulässiges definiert ist? Dann anschliessend von Bürokratieabbau zu sprechen? Keine gute Idee!

18.09.2007 | 00:53

Kommentar #5 von antje:

Hallo Holm,
ich weiss ja nicht, wie weit die Vorbereitungen, den letzten dieser Forderungspunkte zu verwirklichen, gediehen sind, aber bis dahin empfehle ich dieses Shirt: http://textfairy.textferry.de/index.php/blog/comments/das-t-shirt-fuer-die-digitale-boheme/
oder kürzer: http://tinyurl.com/37pg8e
Lieben Gruss von Antje (alles noch etwas zeitverzögert hier bei mir nach dem langen Sommer ;-))

24.10.2007 | 09:59

Kommentar #6 von Finmike:

Ich stelle mir zukünfige Vorstellungsgespräche interessant vor. Fragen werden uns begegnen wie "Was ist Ihre Motivation, bei uns arbeiten zu wollen?", und kurz darauf, Könnten Sie mit 2 Euro pro Stunde als Gehalt einsteigen? Sie haben doch dann Ihr Grundeinkommen, eine tolle Aufgabe, und wir müssen ja schliesslich unsere Shareholder zufriedenstellen."
Grossartige Geschäftsmodelle, die da im kommen sind.

20.01.2008 | 21:44