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Etwas Besseres als die Festanstellung finden wir allemal

Dies ist die Website und das Blog zum Buch "Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung" von Holm Friebe und Sascha Lobo. Das Buch handelt davon, wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näher kommt. Das Blog schreibt das Buch fort, gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln und informiert über neueste Entwicklungen und Frontverläufe im Kampf um den Individualismus 2.0.

13.10.2006 | 22:15 | Sascha Lobo | - Das Prinzip Bohème | - Kommunizierende Röhren | - Virtuelle Mikroökonomie | - Die parallele Gesellschaft

10 Gründe, warum jeder bloggen sollte

Im Buch "Wir nennen es Arbeit" beschäftigen wir uns über ein Kapitel mit Blogs, es heisst "Kommunizierende Röhren". Das liegt daran, dass wir Blogs für zentral in der Entwicklung der digitalen Bohème und des gesamten Internet halten. Die Gründe dafür sind beinahe deckungsgleich mit den Gründen, weshalb eigentlich jeder bloggen sollte. Ich glaube, dass in ein paar Jahren Menschen ohne Blog genauso wunderlich dastehen werden wie heute die versprengten handylosen Gesellen. Und hier die Gründe.

1) Das Internet für alle ist erst zwölf Jahre alt und nächste Generation wächst damit auf, so dass man davon ausgehen kann, dass das Netz wichtiger und noch alltäglicher wird. Nicht selbst im Netz veröffentlichen zu können wird sich dann anfühlen, wie heute nicht schreiben zu können oder stumm zu sein.

2) Auch in Zukunft werden Suchmaschinen das Tool zur Entdeckung der digitalen Welt sein. Gut, wenn man wenigstens auf einen der ersten zehn Treffer zum eigenen Namen Einfluss hat – und das geht mit einem Blog leicht. Ein Christian Schmidt hat dann natürlich ein Problem. Ausser er nennt sich Christian Y. Schmidt.

3) Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Date mit einer Person namens "Chris Mronski". Sie googeln die Person vorher und sie hat keinen einzigen Treffer. Sie existiert online nicht, sagt man heute und wundert sich. In Zukunft wird man das über Menschen sagen, die kein Blog haben.

4) Wenn man sich früher für Schach interessiert hat, ging man zum örtlichen Schachclub. Wenn man sich für Plastikstühle interessierte, war man allein. Heute schaut man sich um und findet natürlich auch ein Blog über Plastikstühle. Abgesehen davon können Sie ruhig mal "Schachblog" googeln.

5) "Früher mussten Menschen Sachbücher schreiben, um als Experte zu gelten, heute genügt ein gutes Blog." Alexander Svensson von Wortfeld hat das gesagt, bzw. aufgeschrieben (bei der Blogbefragung für "Wir nennen es Arbeit").

6) "Blogs sind die längsten Kontaktanzeigen der Welt" (Felix Schwenzel), erweitert um MC Winkels Erkenntnis: "Vorteil ist, dass man schon vorher weiss, dass der etwaige Neupartner genau die gleichen Probleme hat wie man selbst: ein vollends überzogenes Mitteilungsbedürfnis, Egomanie und Geltungsdrang." (auch Blogbefragung)

7) Es gibt von der Geburt der Zwillinge bis zur Vierten Herrenmannschaft des TSV unzählige Gründe, weshalb einer mit vielen kommuniziert. Ein Text, Fotos oder ein Filmclip, die in einer "Mail an alle" unangemessen sind und vor allem nach einem Klick verloren gehen, können die Zierde eines Blogs sein.

8) Es gibt – gerade bei Projekten und Arbeitsprozessen mit vielen Beteiligten – kein besseres System, um einen externen Wissensspeicher und eine benutzbare digitale Dokumentation zu produzieren als ein Blog.

9) Die famose Radiotheorie von Bertolt Brecht hat die theoretische Grundlage gelegt für etwas, was mit "Gegenöffentlichkeit" nur unzureichend beschrieben ist. Es geht darum, dass in der Mediendemokratie nicht nur Medien eine interessengesteuerte Stimme erheben können, sondern die Menschen selbst. Es geht darum, dass Blogs der radikalste und funktionierende Gegenentwurf zur Gleichschaltung sind. Endlich, "ich warte schon 80 Jahre", würde Brecht sagen.

10) Es macht irrsinnigen Spass.


10.10.2006 | 09:35 | Sascha Lobo | - Das soziale Netz | - Virtuelle Mikroökonomie

Videomessage der Youtube-Gründer

Im Prinzip ist es schon ein alter Hut, nämlich einer von gestern abend, dass Google Youtube für 1,6 Milliarden Dollar in Aktien gekauft hat. Näheres zu den Hintergrunden steht umfassend bei Robert Basic. Auf vielschichtige Weise interessant finde ich aber das nebenstehende Video von zweien der Gründer, Chad Hurley und Steve Chen. In einer Danksagung an die Community versuchen sie cool zu bleiben, obwohl ihnen aus jeder Körperöffnung die Freude dringt, soeben 200 Millionen US-Dollar bekommen zu haben. "Ohne Euch wären wir nicht, wo wir jetzt sind", und beim Versprechen, auch in Zukunft "immer den besten Service anzubieten", können sie nicht mehr an sich halten und prusten los. Hier wird unterschwellig das Hauptproblem deutlich: Dieser Film ist für die Produzenten 400 Millionen Dollar wert, aber Youtube ist mit kostenlosem Content grossgeworden, den die Nutzer produziert oder zumindest illegal mitgeschnitten haben.

Die Nutzer werden aber wohl auch in Zukunft – anders als die grossen Medienhäuser, die sich Anwaltshorden leisten können, nicht an der Vermarktung ihrer eigenen Inhalte teilhaben können. In meinen Augen ein grober Fehler, den Youtube beheben sollte – oder sie laufen Gefahr, das Napster des Web 2.0 zu werden: einen Standard setzen im Graubereich der Mediennutzung, der in dem Moment vergessen ist, wo es Praktikableres gibt. Zum Beispiel eine Plattform, bei der auch die unabhängigen, privaten Clipproduzenten an den Geldflüssen beteiligt werden.


09.10.2006 | 18:39 | Sascha Lobo | - Kommunizierende Röhren | - Virtuelle Mikroökonomie

80 Millionen Fotoreporter

In der FAZ macht sich der hauptberufliche Bildblog-Betreiber Stefan Niggemeier Gedanken zu dem Phänomen dezentrale Dokumentation von Schaulustigkeiten, um mal einen soliden Euphemismus für Handyfoto-Gaffer zu finden. Die Demokratisierung der Produktions- und Publikationsmittel, die einer der wichtigsten Faktoren für die digitale Bohème ist, wirft eben auch eine Menge moralischer Fragen auf. Nicht dass ich eine schlüssige Antwort auf die im Text aufgeworfene Frage hätte, was der Unterschied zwischen einem Passanten ist, der ein Handyfoto von einem Polizeieinsatz auf dem Oktoberfest machen will und einem Kamerateam, das den Einsatz filmt, wie in der FAZ beschrieben. Trotzdem wird deutlich, dass es neue Regeln geben muss, im Guten wie im Schlechten, wenn sich jeder 15-jährige mit drei, vier Klicks strafbar machen und hoch verschulden kann. Noch vor neuen Regeln, wie etwa die Creative Commons, die ich demnächst mal präziser erläutern werde, kommt die Aufklärung über die bestehenden Regeln. Eine gute Dokumentation für Blogger zumindest, gerade zu der Situation mit Bildern, eigenen und fremden, findet sich auf Spreeblick von Johnny Haeusler und auf der ebenfalls grimmeprämierten Website irights.info. Bei aller Skepsis gegenüber Fotogaffern muss ich doch gestehen, dass ich auch schon selbst Unfallfotos veröffentlicht habe. Die nebenstehenden nämlich in der Riesenmaschine. Wenigstens war der Text lustig.


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